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AEF - Spanische Weiterbildungsakademie: Teilhabe stärken durch Weiterbildung

Vicente Riesgo Alonso

„Ausschließlich deutsche Einrichtungen haben bis jetzt Weiterbildungsangebote für uns – Spanische Migranten – organisiert. Wir konnten diese Angebote als Konsumenten annehmen“. (1) Mit diesen präzisen Worten beschrieb der Gründungsvorsitzende der Spanischen Weiterbildungsakademie (AEF) (2), José Antonio Arzoz (3), in der Novemberausgabe des Jahres 1984 von Carta a los Padres, die Ausgangslage und den Zustand der Weiterbildung in Deutschland im Entstehungsjahr der AEF.

Anlass dieser Sätze war die öffentliche Präsentation der neuen Weiterbildungseinrichtung, die am 29.10.1984 in den Räumlichkeiten des Katholischen Büros in Bonn stattfand. Gastgeber bei diesem öffentlichen Auftritt war der deutsch-spanische Rechtsanwalt Herbert Becher, damals Leiter des Katholischen Büros (4) und zugleich einer der Vordenker und Mitbegründer der AEF.

Und weiter schrieb Arzoz an der gleichen Stelle: „Die Spanische Weiterbildungsakademie (AEF) möchte einerseits die Weiterbildungs angebote für Erwachsene erweitern und dazu Kultur- und Bildungsmaßnahmen sowie Programme anbieten, die den Bedürfnissen der Spanischen Migranten entsprechen. Der Vorstand der AEF wird – mit Beratung von Experten – Kreativität zeigen müssen, um die direkte Partizipation der Adressaten selbst an der Planung der Maßnahmen zu fördern“. (5)

Hier wird das Gründungsziel der AEF klar benannt: Die neue Weiterbildungseinrichtung sollte sich an die spezifischen Bedürfnisse der Migranten orientieren und diese als Subjekte bei der Bestimmung der Bildungsinhalte einbeziehen. Und zugleich richten diese Zeilen den Blick auf die Defizite und Unzulänglichkeiten des Weiterbildungssystems in der Bundesrepublik zu Beginn der 1980er-Jahre.

 

Teilhabe an Weiterbildung ermöglichen

Jahrelange eigene Erfahrungen im Bereich der Erwachsenenbildung für Migranten sowie ihre kritische Reflektion und Analyse führten bei den deutschen und spanischen Gründern der AEF zur Überzeugung, dass von den etablierten Weiterbildungseinrichtungen wenig Einsicht und Bereitschaft zu erwarten war, eine angemessene Antwort auf die spezifischen Bildungsbedürfnisse der migrantischen Population in Deutschland zu geben. Die AEF-Gründer, Priester und Laien, kamen aus der Bildungsarbeit mit Erwachsenen in den Katholischen Missionen und den Spanischen Elternvereinen und hatten häufig erlebt, dass ihre Bildungsanfragen für Migranten bei den entsprechenden Weiterbildungseinrichtungen fast immer „zu spät“ kamen. Die Mittel waren für andere Zielgruppen bereits vergeben.

Die Angebote der herkömmlichen Weiterbildungsinstitutionen – gerade in vielen Städten mit hohem Migrantenanteil – waren überwiegend auf die Zielgruppe der einheimischen (und häufig auch) akademischen Mittelschicht orientiert. Für die Gruppe der „Gast-Arbeiter“, zugleich Gäste – das hieß Fremde – und aus dem Arbeitermilieu kommend, blieb in diesen Institutionen kaum Raum übrig. Teilhabe war für sie nicht vorgesehen.

Teilhabe scheiterte aber nicht nur an diesen institutionellen Rahmenbedingungen.

Teilhabe war zu dieser Zeit auch politisch unerwünscht. Ein Jahr vor der AEF-Gründung und im Kontext der Rezession von 1982 wurde im Bundestag, im November 1983, das sogenannte Rückkehrhilfegesetz erlassen mit dem Ziel, die Rückkehrbereitschaft arbeitslos gewordener Gastarbeiter in ihre Herkunftsländer zu fördern. Zugleich fand eine zunehmend sehr kontrovers geführte öffentliche Debatte über Verschärfungen des Ausländerrechts, insbesondere zum Zuzug von Ausländern im Rahmen der Familienzusammenführung, statt. Die gesetzlichen Änderungen sowie der mit ihnen einhergehende migrationspolitische, integrations- und teilhabefeindliche Diskurs führten in diesen frühen 1980er-Jahren zu großen Verunsicherungen und unüberlegten Rückkehrentscheidungen in den migrantischen Communities. (6)

Vor diesem Hintergrund erscheint wenig verwunderlich, dass die emanzipatorische Initiative einiger spanischen Migranten und deutscher Bürger zur Gründung einer eigenen Weiterbildungsakademie als bikulturelles Projekt keine große Sympathie seitens der bis dahin mit der Betreuung von Ausländern beauftragten sozialen und Bildungsinstitutionen erfuhr. Manche von ihnen sahen in der neuen Akademie eher einen Konkurrenten als einen Verbündeten oder eine Ergänzung ihrer Arbeit mit der Zielgruppe der Migranten. Es sollte noch Jahre dauern, bis neue Formen der Kooperation gefunden werden konnten.

Für den erfolgreichen Start der AEF waren trotz dieser widrigen Umstände zwei Faktoren von entscheidender Bedeutung: Das Weiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen und die personelle und infrastrukturelle Ausstattung der Spanischen Katholischen Missionen. Das progressive Weiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen sah eine Landesförderung für hauptamtliches Personal nach der Anerkennung als Einrichtung der Weiterbildung vor. Die in der damaligen Situation für die AEF aber am schwierigsten zu erfüllende aller gesetzlich verlangten Anerkennungsvoraussetzungen war die Durchführung von mindestens 2.800 Unterrichtsstunden jährlich innerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen, da die AEF noch nicht über Mittel verfügte, um das dafür notwendige Personal und eigene Infrastruktur zu finanzieren.

Um dieses Ziel trotzdem zu erreichen, bestellte der Vorstand aus Eigenmitteln einen pädagogischen Mitarbeiter auf der Basis eines auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags. Mit der Hilfe und dem großen ehrenamtlichen Einsatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Missionen, die die Unterrichtsangebote organisierten und unter kostenfreier Nutzung ihrer Infrastrukturen konnten innerhalb eines Jahres die erforderlichen Unterrichtsstunden belegt werden. Als Grundlage zur Erstellung dieses ersten Bildungsangebots diente der Rücklauf auf einen Fragebogen, der an 82 Spanischen Katholischen Missionen, an circa 120 Spanische Elternvereine sowie an die Sozialberatungsstellen des Caritasverbandes für Spanier geschickt worden war.

Nach Erfüllung aller Voraussetzungen bekam die AEF 1985, ein Jahr nach der Gründung ihres Trägervereins, die offizielle Anerkennung als Einrichtung der Weiterbildung. Die Angebote der AEF waren in den ersten Jahren dem Bedarf entsprechend überwiegend in den Bereichen der allgemeinen und der kulturellen Weiterbildung - insbesondere Deutschkurse – zu verorten; da wo die größten Lücken im etablierten System sichtbar waren.

Teilhabe durch Sprache – Deutschkurse

Seit ihrer Gründung sah die AEF in der Unterstützung der spanischen Migrantinnen und Migranten beim Erlernen der deutschen Sprache eine sehr wichtige Aufgabe und einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung ihrer Lebensqualität und Teilhabechancen in der deutschen Gesellschaft. Im Jahr 1989 erteilte der damalige Sprachverband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer e. V., mit Sitz in Mainz, der AEF die Genehmigung, Deutsch-Sprachkurse in seinem Auftrag deutschlandweit durchzuführen.

Damit bekam die sprachliche Integrationsarbeit der AEF einen großen Impuls, der ihr erlaubte in relativ kurzer Zeit zu einem wichtigen Träger von Sprachkursen zu werden. Durch das Zuwanderungsgesetz wurden im Jahr 2005 die Integrationskurse als Grundangebot zur Eingliederung von Ausländern eingeführt und die Zuständigkeit für ihre Förderung auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) übertragen.

Kurz darauf begann die AEF mit der Durchführung von Integrationskursen in ihrer Geschäftsstelle in Bonn-Bad Godesberg und in dem zu diesem Zweck neu geschaffenen Standort Troisdorf. Seit 2015 bietet die AEF Integrationskurse auch außerhalb Nordrhein-Westfalens in ihrem Standort Hornberg (Baden-Württemberg) an und ist damit auch einer der bundesweit wenigen Integrationskursträger im ländlichen Raum.

Kommunalpolitische Teilhabe fördern, das erste Pilot-Projekt der AEF

Die lebensnahe Bildungsarbeit der AEF mit Migranten brachte schnell das große Defizit ans Licht, das auch im Bereich der politischen Erwachsenenbildung existierte. Viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den Bildungsmaßnahmen der AEF waren auch am kommunalen Leben ihrer Gemeinden aktiv beteiligt oder in zivilgesellschaftlichen Organisationen engagiert. Sie spürten hier den Bedarf nach entsprechenden Kompetenzen für die Arbeit in Gremien sowie nach tieferen Kenntnissen und besserem Verständnis der politischen, administrativen und gesellschaftlichen Strukturen und Prozesse in der deutschen Demokratie. Und auch hier fanden sie keine entsprechenden auf ihre Bedürfnisse ausgerichteten Angebote.

Als Antwort auf diesen Bedarf startete die AEF ihr erstes Pilotprojekt, das unter dem Titel „Qualifizierung von Migranten/innen für die politische Mitwirkung in kommunalen Gremien“ und mit Förderung des Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes von 1991 bis 1993 lief. An diesem Projekt nahmen Menschen aus verschiedenen Nationalitäten teil – überwiegend Mitglieder vieler kommunaler Ausländerbeiräte. Die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit dieser Gremien untereinander wurde wiederholt in den Projektseminaren debattiert. Als Folge davon und im Kontext dieses kommunalpolitischen Projekts waren Mitarbeiter der AEF an den Vorbereitungen zur Gründung der Landesarbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte (LAGA), später in Landesintegrationsrat umbenannt, aktiv beteiligt.

Zur Qualifizierung für die aktive Beteiligung von Migranten und Migrantinnen in anderen gesellschaftlichen Institutionen wie Vereinen und Bürgerinitiativen organisiert die AEF auch regelmäßig Multiplikatorenschulungen in den Bereichen Vereinswesen und Vereinsleitung sowie Organisationsentwicklung.

Allianzen schließen – Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK)

Als Voraussetzung für die Genehmigung der für die Finanzierung des kommunalpolitischen Projekts erforderlichen Mittel verlangte das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen noch im Jahr 1987 von der AEF, die Zusammenarbeit mit einem Wohlfahrtsverband zu suchen, „da eine direkte finanzielle Förderung (der Akademie) nicht möglich“ (7) sei.

Der AEF gelang es, das Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes für das Anliegen zu gewinnen und somit die Landesförderung zu sichern. In der Folge beantragte die AEF eine kooperierende Mitgliedschaft beim DRK-Landesverband Nordrhein, die im Februar 1991 positiv beschieden wurde. So entstand eine lange und sehr fruchtbare Zusammenarbeit zwischen der AEF und dem DRK, als Grundlage für die gemeinsame Entwicklung und Durchführung innovativer und erfolgreicher Projekte und Programme, von denen beide Seiten profitierten. Das erste dieser Projekte zielte auf die Förderung des sozialen Ehrenamtes bei Migranten und lief teilweise parallel zum kommunalpolitischen Projekt.

Als das DRK-Präsidium die Steuerungsgruppe zur Interkulturellen Öffnung (IKÖ) seines Verbandes ins Leben rief wurde die AEF zur Mitarbeit eingeladen. Daraufhin haben Mitglieder des AEF-Vorstands durch ihre Mitwirkung in diesem Gremium den IKÖ-Prozess des DRK jahrelang begleitet und ihre Erfahrungen und Kenntnisse in der Migrations- und Integrationsarbeit dem gesamten Wohlfahrtsverband zur Verfügung gestellt.

Ältere Migrantinnen und Migranten bleiben aktiver Teil der Gesellschaft

Durch die enge Verflechtung und Zusammenarbeit mit den Basisgruppen der Missionen und der Elternvereine wurde den Verantwortlichen und Mitarbeitern der AEF die neue Problematik der älter werdenden Migranten und Migrantinnen immer deutlicher und bewusster. Im Jahr 1992 begannen bereits die konkreten konzeptionellen Überlegungen sowie die Kontakte und Gespräche mit Politik, Ministerien und anderen Behörden, um ein Projekt zur Stärkung der gesellschaftlichen Eingliederung dieser Menschen in die Wege zu leiten.

Nach der soziologischen Datenlage und Analyse der Lebensbiographie der älteren Migrantinnen und Migranten, das heißt der Sozialisations-, Beschäftigungs- und sozioökonomischen Bedingungen der ehemaligen „Gastarbeiter“, wurde schnell klar, dass ein solches auf Aktivierung und Empowerment gerichtetes Projekt überwiegend in der Muttersprache der Betreffenden stattfinden sollte. Dieser heute in der Gerontologie selbstverständlichen Sichtweise wurde damals noch mit viel Skepsis in den Institutionen begegnet und sehr kritisch hinterfragt. Die Frage war, inwieweit ein Projekt, das nicht auf Deutsch arbeiten würde integrationsfördernd oder nicht eher integrationshinderlich wäre. Auch hier musste die AEF viel Argumentations- und Überzeugungsarbeit leisten, um überkommene Integrationsvorstellungen überwinden zu helfen.

Nach langen Verhandlungen startete im April 1994 das neue Modellprojekt „¡Adentro! – Spanisch sprechende Seniorinnen und Senioren mischen sich ein“, das unter anderem von der Europäischen Kommission, dem Deutschen Roten Kreuz und dem Bundesfamilienministerium gefördert wurde. Unter der gemeinsamen Trägerschaft der AEF, des Bundes der Spanischen Elternvereine (Confederación) und des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) konnte ¡Adentro! bis März 1997 eine sehr erfolgreiche Methodik zur aktivierenden Qualifizierung älterer Migranten und Migrantinnen für die soziokulturelle Animation, die Selbstorganisation zur sozialen Teilhabe und die Gemeinwesenarbeit entwickeln.

Die ¡Adentro!-Methodik wurde ab 1999 als „¡Adentro! Europa“, mit Hilfe der EU-Kommission und anderer Kooperationspartner in den Ländern, nach Belgien, Frankreich, Italien und Spanien sowie in die Schweiz transferiert. Mit ihrem emanzipatorischen Ansatz wird die ¡Adentro!-Methodik dort auf die Arbeit mit älteren Menschen weiterhin angewandt. In Deutschland führt die AEF zurzeit ¡Adentro! als Teil ihres Regelangebots fort, mit drei Multiplikator/innen-Seminaren im Jahr und der Unterstützung lokaler Senioren-Gruppen in ihrer Bildungsarbeit.

Die Seniorenbildung der AEF wird aktuell im Rahmen des Projekts „Inter-AKTIVE 60 +“ mit Hilfe des Deutschen Olympischen Sportsbunds in den Bereichen Gesundheitsförderung und Seniorensport verstärkt und auf andere Communities erweitert.

Frauen in der Familie und der Gesellschaft stärken

Besonders wichtig für die Weiterentwicklung der AEF als relevanter Bildungsträger und anerkannter Akteur in der Integrationsarbeit jenseits der Landesgrenzen Nordrhein-Westfalens war der Beginn der Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales bei der Durchführung der damals sogenannten „Frauenkurse“ für Migrantinnen im Jahr 1991. Dieses Bundesprogramm, das aktuell unter dem Namen „Migrantinnen einfach stark im Alltag“ (MiA-Kurse) vom BAMF gefördert wird, setzt auf die Stärkung der Integration und gesellschaftlichen Teilhabe von Migrantinnen und geflüchteten Frauen durch niederschwellige und an ihrer konkreten Lebenssituation orientierte Kursmaßnahmen.

Als eine der Zentralstellen (8) hat die AEF jahrelang an der Entwicklung des Kurskonzepts für diese Maßnahmen mitgewirkt und kooperiert mit dem BAMF an der Umsetzung der MiA-Kurse bundesweit. Dabei unterstützt die AEF die lokalen Kursträger, überwiegend Migrantenorganisationen, bei der Kursplanung und Kursdurchführung, berät sie in organisatorischen, administrativen und pädagogischen Fragen, vermittelt die erforderlichen Finanzmittel und bietet Fortbildungsmaßnahmen für die Kursleiterinnen der Träger an.

Eine besondere Stärke der AEF bildet die Ansprache, Beratung und Begleitung von kleinen lokalen Institutionen und Migrantenorganisationen unterschiedlicher ethnischer Herkunft als Kursträger, um so die Migrationsvielfalt in Deutschland in den MiA-Kursen entsprechend zu berücksichtigen. (9)

Neben den MiA-Kursen hat die AEF über die Jahre zusammen mit dem Bund der Spanischen Elternvereine und aus eigenen Mitteln weitere unzählige Weiterbildungsmaßnahmen und Seminare zur Stärkung der gesellschaftlichen Position der Frau deutschlandweit durchgeführt.

Themen von heute setzen und Perspektiven für die Zukunft aufzeigen. Das Bocholter Forum

Seit 1991 kooperiert die AEF mit der Landeszentrale für politische Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen – und seit 1994 auch mit dem Landesintegrationsrat Nordrhein-Westfalen – bei der Durchführung des Bocholter Forums für Migrationsfragen.

Diese in der Zusammensetzung der Kooperationspartner und ihrer Dauer bundes- und europaweit einmalige Initiative hat neue Wege zur Teilhabe von Migrantinnen und Migranten an den Maßnahmen der politischen Bildung eröffnet. (10)

Mit dem Bocholter Forum sind die Migranten und Migrantinnen als eigene, spezifische Zielgruppe seitens der institutionellen politischen Bildung in den Blick genommen worden. Und zwar nicht als Objekte oder Konsumenten von Maßnahmen, die von Dritten konzipiert wären, sondern als Subjekte, die ihre eigenen, für sie relevanten Themen in die Betrachtung bringen und zur Debatte stellen. Die Themensetzung für das Bocholter Forum geschieht in einem offenen und gleichberechtigten Reflexionsprozess zwischen den drei Kooperationspartnern – als Vorgang praktizierter Teilhabe und gelebter Demokratie.

Das Bocholter Forum lebt von der Überzeugung, dass Migration zur Struktur moderner Gesellschaften gehört und eines ihrer Wesensmerkmale darstellt. Daraus ist die Internationalität, insbesondere die europäische Perspektive, entstanden, die das Bocholter Forum von Anfang an kennzeichnet. Der Blick über Landes- und Bundesgrenzen ist angezeigt, um zu sehen, wie andere moderne Gesellschaften mit Migration umgehen, um daraus von anderen und mit anderen zu lernen. Aus diesem Grund gehört die Präsenz von Expertinnen und Experten aus anderen europäischen Ländern zur guten Praxis des Bocholter Forums. Die breite Vielfalt der ethnischen Herkunft unter den Teilnehmenden ist auch Zeichen und Ergebnis der internationalen Ausrichtung dieser Veranstaltung.

Der Blick über die eigenen Grenzen erleichtert den drei Kooperationspartnern, unabhängig von den Dringlichkeiten der Tagespolitik Tendenzen zu erkennen und Themen zu setzen, die auf strukturelle und langfristige Entwicklungen hindeuten und so neue Zukunftsperspektiven aufzuzeigen. Hier ist die große Offenheit hervorzuheben, die die Landeszentrale für politische Bildung als Landeseinrichtung bei der Themensetzung über die Jahre gezeigt hat – unabhängig von den Wechseln und der politischen Couleur der jeweiligen Landesregierungen Nordrhein-Westfalens. Auch das ist gelebte Demokratie.

Sozioökonomische Teilhabe fördern – Existenzgründungen durch Migrantinnen und Migranten fördern

Die Förderung der beruflichen Chancen zur Stärkung der sozioökonomischen Lage von Migrant/innen ist auch – neben der sozialen und kulturellen Integration – ein wichtiges Anliegen der AEF. Zu diesem Zweck begann sie bereits 1990 mit der Durchführung von auf die besonderen Bedürfnisse und Interessen von Zugewanderten zugeschnittenen Existenzgründerseminaren.

Sprachliche Kompetenzen und Kenntnisse anderer Kulturen und Märkte bieten viele Chancen der selbständigen wirtschaftlichen Betätigung an, jenseits der Nischen in der sogenannten ethnischen Wirtschaft der eigenen Community. Die zahlreichen, jährlich stattfindenden Existenzgründerseminare haben vielen Migrantinnen und Migranten geholfen, in verschiedenen Berufen und mit sehr unterschiedlichen Geschäftsideen diese Chancen für sich zu entdecken und mit eigenen Unternehmensgründungen in die Praxis umzusetzen.

Kompetenzen und Potentiale der Migration nutzen – IMPULSO

Durch die enge Einbindung in die Bildungsarbeit der Elternvereine und der Missionen hat sich die AEF bereits sehr früh auch mit Themen der Jugendbildung beschäftigt. In zahlreichen gemeinsamen Seminaren sind Probleme, Erwartungen, Fähigkeiten und Chancen der in Deutschland aufgewachsenen Jugendlichen aus Migrationsfamilien erörtert worden.

Auf dieser Grundlage entwickelte die AEF das Projekt IMPULSO, das mit Förderung durch das Leonardo-Programm von 2000 bis 2001 als Pilot-Projekt durchgeführt wurde mit dem Ziel, die durch die familiäre Migrationserfahrung gewonnenen, sprachlichen und interkulturellen Kompetenzen und Potentiale dieser Jugendlichen sichtbar zu machen und zu fördern. Die Stärkung und Weiterentwicklung ihrer Bilingualität und Bikulturalität in Hinblick auf Bildung und Beruf stand im Zentrum der Projektmaßnahmen. Dafür traten auch beruflich erfolgreiche junge Personen der zweiten und dritten Generation mit ihren eigenen Biografien als lebendige Beispiele bei den Weiterbildungsmaßnahmen auf. Die IMPULSO-Methodik wird als Teil des Bildungsangebots der AEF weiterhin angewandt.

Im Rahmen des Sonderprogramms MobiPro-EU des Bundesarbeitsministeriums unterstützte die AEF von 2016 bis 2018 junge Menschen aus Spanien, die eine duale Berufsausbildung in der Region Bonn-Köln sowie im Schwarzwald machten. Neben der sprachlichen Ausbildung bot ihnen die AEF sozialpädagogische Begleitung, um ihre Integration in den Ausbildungsunternehmen und im sozialen Leben zu erleichtern.

Wissen weitergeben – Mit Eltern zusammenarbeiten

Mit dem vom Integrationsbeauftragten des Landes Nordrhein-Westfalen geförderten Multiplikatoren-Projekt „Schlaue Kinder starker Eltern“ haben die AEF und die Confederación gemeinsam von 2005 bis 2007 ihre nach jahrzehntelanger Erfahrung entwickelte, in der Pädagogik Paulo Freires inspirierte Expertise in der Arbeit mit Eltern auch für Migranten und Migrantinnen anderer Communities zur Verfügung gestellt. Aus diesem interkulturellen Transfer- und Multiplikatorenprojekt sind später wichtige Initiativen zur Selbstorganisation von Eltern verschiedener Ethnien entstanden. So spielten einige Teilnehmer des Projekts eine wichtige Rolle bei der Gründung des Bundesverbandes russischsprachiger Eltern (BVRE). In dieser Zeit übernahmen Vorstandsmitglieder der AEF auch eine aktive Rolle in der Initiative, die zur Gründung des Elternnetzwerks Nordrhein-Westfalen führte.

Zur Stärkung und Verbreitung der im Rahmen von »Schlaue Kinder starker Eltern« initiierten Arbeit der Multiplikator/innen entwickelte die AEF ihr erstes vom BAMF geförderte gemeinwessenorientiertes Projekt, das unter dem Namen „Die Elternbrücke“ in der Region Dortmund von 2009 bis 2011 durchgeführt wurde.

Aktuell führt die AEF zusammen mit Partnerorganisationen in Italien, Ungarn und Spanien im Rahmen des EU-Programms Erasmus+ das neue Projekt „Eltern für die Inklusion“ durch, mit dem die jeweiligen Expertisen ausgetauscht und gemeinsam weiterentwickelt werden sollen. Die AEF wird in diesem Austausch ihr Wissen über aktivierende und teilhabeorientierte Arbeit mit Eltern mit ihren europäischen Partnern teilen. Diese Zusammenarbeit knüpft an andere erfolgreiche Projekte der AEF mit sozialen Organisationen in Italien und Spanien und soll die Umsetzung ihres europäischen Gründungsgedankens weiterentwickeln.

Einwanderung und Integration im ländlichen Raum begleiten

In den letzten Jahren nahm die Zahl spanischsprachiger Migrantinnen und Migranten aus Spanien und dem amerikanischen Kontinent wieder zu. Sie finden in der AEF häufig einen ersten Ansprechpartner in ihren Integrations- und Weiterbildungsanliegen. Diese Entwicklung sowie die starke Nachfrage nach Information und Orientierung führte die AEF im Jahr 2013 zur Eröffnung ihres neuen Standortes in Hornberg, um das Projekt „Bienvenid@s-Willkommen in Baden-Württemberg“ zu starten. Gefördert durch das IQ-Netzwerk Baden-Württemberg unterstützt die AEF Neuzugewanderte verschiedener Herkunft bei ihren ersten Integrationsschritten in der Schwarzwald-Region.

Mit dem vom BAMF geförderten Projekt „Neue Heimat Schwarzwald“ konnte die AEF die vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflüchteten Menschen begleiten sowie die Freiwilligen und regionale Institutionen, die sie betreuten bei ihrer Integrationsarbeit unterstützen. Auch am AEF-Standort Troisdorf half die AEF mit Projekten wie „Caminos-Wege“ oder „Mein Neues Leben in Deutschland – Neue Heimat Bonn/Rhein-Sieg“ neuzugewanderten Menschen bei ihrer sozialen und ökonomischen Eingliederung in der Region.

Weitere, von den Standorten Hornberg und Troisdorf aus koordinierten Projekte, die ebenfalls im Rahmen des IQ-Förderprogramms und anderer Kooperationspartnerschaften durchgeführt werden, unterstützen vor allem kleine und mittlere Unternehmen bei ihrer interkulturellen Öffnung zur Gewinnung der auch in diesen ländlichen Regionen dringlich gesuchten ausländischen Fachkräfte. Diese Arbeit wird mit dem Angebot von Integrationskursen vor Ort durch die AEF ergänzt.

Kommunale, Kreis- und Bundesbehörden sowie Wohlfahrtsverbände und andere Organisationen in diesen Regionen schätzen das flexible und agile Wirken der AEF und sie nehmen sie zunehmend als wichtigen Ansprech- und Kooperationspartner wahr. Auf diese Weise wird die AEF auch als Referenzinstitution mit hoher Kompetenz für Fragen der Migration und der Integration im ländlichen Raum weitgehend anerkannt.

Ausblick – Von Menschen mit Migrationsgeschichte für die ganze Gesellschaft

Zurückblickend auf diese kurz gefasste fast 40-jährige Weiterbildungsarbeit lässt sich sagen, dass die AEF eine Avantgarde-Arbeit bei der Förderung gleichberechtigter politischer, sozioökonomischer und sozialer Teilhabe von Migrantinnen und Migranten geleistet hat. Nachdem sie unter erheblichen Widerständen zuerst die unmittelbare Teilhabe von Migranten an den Ressourcen der Weiterbildung erkämpft hatte, konnte sie viele neue Wege öffnen, die nachher von anderen begangen und weitergeführt werden konnten.

Ermöglicht wurde diese Leistung insbesondere durch:

Die methodologische Fähigkeit, die ständig neuen Fragen der Migrationsgesellschaft aufzugreifen und damit die richtigen Themen zu setzen, die für die Beantwortung dieser Fragen relevant sind.

Die Bereitschaft, Wissen zu teilen.

Die Fähigkeit, sich jenseits der eigenen herkunftssprachlichen Community zu öffnen, ohne diese zu vergessen.

Die Wahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in der pluralen Migrationsgesellschaft, der Aufbau eines demokratischen und menschennahen Europas, die Entwicklung ländlicher Regionen, die interkulturelle Öffnung von Wirtschaft und Unternehmen, die Integration als gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen oder die Begleitung immer neu nach Deutschland zuwandernder Menschen stehen jetzt als Herausforderungen der Zukunft für alle an. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Weiterbildungsgeschichte kann die AEF hier – auch als Ideenlabor – neue Aufgaben übernehmen und gute Beiträge leisten: von Menschen mit Migrationsgeschichte für die ganze Gesellschaft.

 

Anmerkungen:

(1) CARTA A LOS PADRES, Nr. 110, S. 1. Diese Zeitschrift wird seit Oktober 1972 vom Referat für Schulwesen und Erwachsenenbildung der Spanischsprachigen Katholischen Missionen in Deutschland, einer Einrichtung der Deutschen Bischofskonferenz, herausgegeben.

(2) Der offizielle Name der Einrichtung lautet „Academia Española de Formación (AEF) – Spanische Weiterbildungsakademie – e. V.“. Die Abkürzung AEF hat sich in den letzten Jahren im Gebrauch durchgesetzt und wird auch in diesem Aufsatz verwendet.

(3) José Antonio Arzoz, katholischer Priester und Pädagoge, war zur Gründungszeit der AEF zugleich der Leiter des oben genannten Schulreferats.

(4) Das Katholische Büro, mit Sitz damals in der Bundeshauptstadt Bonn, ist die Verbindungs- und Informationsstelle der Bischofskonferenz zu den politischen Organen des Staates.

(5) CARTA A LOS PADRES, Nr. 110, S. 1.

(6) In verschiedenen Beiträgen der CARTA A LOS PADRES (abgekürzt: CALP) aus den Jahren 1983 und 1984 legen bereits einige Überschriften die große Verunsicherung offen, die diese Entwicklungen auch in der damaligen spanischen Community verursacht haben. Einige dieser Überschriften lauten zum Beispiel: „Gegen die „Hilfe“ zur Rückkehr“, CALP, Nr. 102 (12/1983), S. 2 – 3; „Auch der Deutsche Caritasverband lehnt die „Hilfe“ zur Rückkehr ab“, Nr. 103 (1/1984), S. 4; „Die Rückkehrprämie, ein ›Schlag‹ gegen den Migranten“, ebenda; „Die Ausländerzahl geht in Deutschland zurück. Über 7.500 Spanier haben das Land im letzten Jahr verlassen“, ebd., S. 4; „Die Unsicherheit verursacht unüberlegte Rückkehrentscheidungen. Erklärung der Caritas-Sozialarbeiter“, Nr. 105 (3/1984), S. 2; „Desinformation verursacht massenhafte Rückkehr“, Nr. 106 (4/ 1984), S. 2.

(7) Zit. aus einem Brief der AEF an die Diözesancaritasdirektoren der Bistümer Aachen, Essen, Köln, Münster und Paderborn vom 9.6.1989.

(8) Weitere Zentralstellen für die Umsetzung der MiA-Kurse sind neben der AEF aktuell die Organisationen Arbeiterwohlfahrt (AWO), Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband (DPVW) und Verein für internationale Jugendarbeit e. V. (VIJ) im Verbund der Diakonie.

(9) Die AEF hat im Jahr 2022 Kooperationsverträge mit über 60 Kursträgern für die Durchführung von MiA-Kursen abgeschlossen. Mehr als 40 dieser Kursträger sind Migrantenorganisationen.

(10) Das Bocholter Forum hat inzwischen seine 22. Auflage erreicht, die vom 13 – 14.11.2021 unter dem Titel „Zukunft statt Herkunft“ stattfand.

 

Artikel aus:

Geschichte der Zuwanderung in Nordrhein-Westfalen. Flucht, Vertreibung, Arbeitsmigration. Herausforderungen an Integration, Teilhabe und Zusammenhalt im Wandel 

veröffentlicht von der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen 2022, Herausgeberin Frau Carmen Teixeira, Seiten 425-435.